00:00:06: Willkommen zum Ärzte-Tag, dem Podcast der Erze-Zeitung.
00:00:09: Heute als Ärzte-Tag vor Ort vom DGAM-Kongress in Hannover.
00:00:14: Und vor mir sitzt die gerade gestern Abend neu gewählte DGAM-Präsidentin, Professorin Eva Hummers.
00:00:22: Hallo Frau Hummers und natürlich herzlichen Glückwunsch.
00:00:26: Vielen Dank und einen schönen guten Tag.
00:00:30: Frau Humas, was wollen Sie in Ihrem Amt als Degangpräsidentin denn als erstes angehen?
00:00:36: Ich glaube, als erstes angehen müssen wir tatsächlich die Frage, wie stellen wir Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte uns denn ein Primärarztsystem vor?
00:00:46: Diese Aufgabe wurde uns ja jetzt sozusagen vor die Füße gerollt und das ist schön und wichtig.
00:00:52: Aus diesen Worten verstehe ich, dass es nach sechs Jahren Martin Scherer an der Spitze der Degam nicht unbedingt eine Kursänderung geben wird.
00:01:00: Denn Herr Scherer hat ja gestern gesagt, Wissenschaft sei politischer geworden.
00:01:05: Und darum sei zwangsläufig fast auch die Degam politischer geworden.
00:01:11: Ist das für Sie auch etwas, was Sie unterschreiben würden?
00:01:15: Ja, das unterschreibe ich auch.
00:01:17: Das finde ich wichtig und das finde ich richtig so.
00:01:21: Und das ist wirklich etwas, was Martin Scherer erreicht hat, dass die Stimme der Degam, der Allgemeinmedizin in der Politik inzwischen gehört wird und auch erfragt wird.
00:01:33: Und ich denke, das ist angesichts der Aufgaben, die da auf uns zukommen, eine ganz wichtige Angelegenheit.
00:01:39: Dann kommen wir gleich auf das zurück, was Sie gesagt haben, was Sie als erstes angehen möchten.
00:01:45: Was kann denn die DEGAM dazu beitragen, wie ein solches Primärarztsystem gestaltet wird?
00:01:52: Unsere Mitgliederinnen und Mitglieder sind die, die es im Zweifel umsetzen müssen.
00:01:57: Und wir sind die, die eben auch die ambulante hausärztliche Versorgung kennen und die als wissenschaftliche Fachgesellschaft die Evidenz dazu beisteuern können.
00:02:06: Das heißt, die Wissen oder herausfinden können, falls es noch nicht bekannt ist, was funktioniert, was funktioniert nicht.
00:02:15: Und was sind vielleicht auch leere Versprechungen?
00:02:17: Also ich denke, da sind wir ein ganz wichtiger Mitgestalter und ich freue mich, dass das in der Politik zumindest auch begann zu sein scheint.
00:02:26: Ja, Sie sind ja auch selbst als niedergelassene angestellte Ärztin im Einsatz.
00:02:32: Da können Sie dann auch Erfahrungen aus der Praxis durchaus auch beisteuern, nicht?
00:02:36: Ja.
00:02:38: Was werden denn weitere Schwerpunkte Ihrer Arbeit jetzt in den kommenden Jahren sein?
00:02:43: Naja, unser gewähltes Schwerpunktthema ist ja tatsächlich Veränderung gestalten.
00:02:49: Und bevor das Primärarztsystem jetzt politisch gewünscht wurde, sind es ja schon ganz viele andere Veränderungen, die anstehen.
00:02:57: Es ist die Umgestaltung der Gesellschaft an sich, aber auch der Medizin und der Versorgungspraxis durch Digitalisierung und KI, wo wir, glaube ich, wirklich auch mitgestalten müssen, das aktiv begleitet.
00:03:12: müssen.
00:03:13: Es ist die Veränderung, ich sage jetzt mal, der Versorgungslandschaft mit einer Fehlverteilung von Ärzten, mit Situationen, wo an anderer Stelle wenige Kollegen sehr viele Patienten versorgen und wo jüngere Menschen einfach anders arbeiten wollen, als die Vor- oder Vorvorgeneration in einer Einzelpraxis irgendwo.
00:03:33: Da gibt es positiv Beispiele, wie das funktionieren kann.
00:03:38: Da gibt es aber auch noch ganz viel Gestaltungs- und eben auch Informationsbedarf.
00:03:44: Ja, und das mitzubegleiten, an dieser Stelle zu kommunizieren, vielleicht gute Praxisbeispiele bekannter zu machen.
00:03:52: Das ist wichtig.
00:03:54: Es ist wichtig, das Thema KI zu beforgen, welchen Einfluss hat das auf die Praxis, wenn zum Beispiel nicht mehr die Ärztin dokumentiert oder die MFA, sondern der AIScribe das macht.
00:04:09: oder welchen Einfluss haben Entscheidungshilfen?
00:04:14: und wie kann man auch die evidenzbasierten Materialien der Degam zum Beispiel so umgestalten, dass man dann nicht mehr durch die Leitlinies kennen muss, sondern eintippen kann, meine Patientin hat dieses und jenes, was sagt denn die Degam-Leitlinie dazu, wie ich sie behandeln soll und so.
00:04:29: Etwas ist ja in Entwicklung begriffen und wird sicherlich auch weitergehen und das finde ich wichtig.
00:04:37: im Zuge der Umgestaltung, der Einbezug und der stärkere und paritätischere Einbezug anderer Gesundheitsprofessionen.
00:04:45: Also es studieren viele engagierte junge Menschen im Moment den Physischen Assistant.
00:04:49: Es weiß noch so recht keiner, wie die ins Praxissystem eingebaut werden auf einer strukturellen Ebene.
00:04:55: Wir haben ganz viele Vorstellungen, was sie sinnvolles tun könnten, aber auch das muss ja ja strukturiert.
00:05:02: geplant werden.
00:05:04: Man hat mir mal das Wort SOP genannt, schreibt mal auf, was die tun sollen und tun dürfen.
00:05:09: Das ist vielleicht ein ganz guter, erster Ansatz das zu machen.
00:05:12: Aber wir müssen ein Stück weit weg von dieser absoluten Arztzentriertheit im System.
00:05:18: Das heißt, die Ärzte müssen weiter steuern, aber wir müssen die unbedingt alles selber machen.
00:05:22: Da muss ja dann das Abrechnungssystem wahrscheinlich auch ein bisschen umgestellt werden, wenn die Gesundheitsberufe stärkere Verantwortung übernehmen.
00:05:31: Oder glauben Sie das nicht?
00:05:33: Ich finde das sinnvoll, ja.
00:05:34: Dass eigene Abrechnung möglich ist, dass das auch einfacher möglich ist.
00:05:39: Das ist bisher zum Teil, wo es überhaupt geht.
00:05:41: Sehr umständlich hat sehr lange Vorlaufzeiten, die den akademisierten Gesundheitsprofen noch überhaupt nicht gerecht wird und den Aufgaben, die dazu erfüllen, sind auch nicht.
00:05:51: Also, das würde ich mir sehr wünschen.
00:05:54: Als Fachgesellschaft machen sie ja auch Leitlinien.
00:05:57: Also sie sind ja auch in der Leitlinienarbeit ganz tief mit drin.
00:06:01: Was waren denn in den vergangenen Jahren die wichtigsten Leitlinienprojekte und was steckt in der Pipeline?
00:06:08: Die Leitlinien sind ja eines der ganz großen und ganz wichtigen Produkte der Degamme und das sind in den letzten Jahren einfach viele geworden.
00:06:16: Was ich sehr wichtig finde, ist einerseits die aktive Mitarbeiter, sage ich jetzt mal, an nationalen Versorgungsleitlinien.
00:06:24: Das sind ja oft krankheitsbezogene Leitlinien gar nicht so sehr in allgemeinmedizinischer Ansatz, wo es ja vom Beratungsanlass ausgeht.
00:06:31: Trotzdem sind sie wichtig, dass dort die Evidenz überhaupt und die Evidenz und der Blick der Primärversorgung weiter eingebracht wird.
00:06:42: Was ich ebenfalls sehr wichtig finde, sind so ganz genuine allgemeinmedizinische Leitlinien zu Themen, mit denen sich kaum jemand anders befasst.
00:06:50: Management von Multimedikationen, Schutz vor Unterversorgung vor, wollen alle vorschützen, aber vor Über- und Fehlversorgung.
00:06:59: Also laterale oder übergeordnete Themen finde ich dann total wichtig, die eben die Besonderheit der Allgemeinmedizin auch abbilden.
00:07:07: Und nicht nur es muss immer mehr gemacht werden und das wird dann schon gut sein.
00:07:11: Ja, da gibt es ja auch teilweise ganz schöne Kontroversen mit anderen Fachgesellschaften.
00:07:15: Also ich denke da vor allen Dingen an die Kathiologen, wo es ja zum Teil auch relativ fast emotional in der Argumentation herging, sind solche Auseinandersetzungen Teil der üblichen wissenschaftlichen Diskussion, die einfach nötig sind, um auf den besten Weg zu finden.
00:07:34: Oder ist das mit Blick auf die Ärztinnen und Ärzte in der Praxis vielleicht manchmal ein bisschen zu viel?
00:07:40: Das ist jetzt nicht einfach zu beantworten.
00:07:42: Ich denke, die Auseinandersetzungen sind tatsächlich ein wichtiger Teil des wissenschaftlichen Diskurses auch.
00:07:48: Die Emotionalität dahinter vielleicht nicht unbedingt.
00:07:51: Also wenn man dann anfängt sich gegenseitig vorzuwerfen, dass man die Leute umbringt, das ist nicht hilfreich.
00:07:57: Aber die sachliche Auseinandersetzung der unterschiedlichen Ebenen ist
00:08:00: gut.
00:08:01: Und auf die Dägern bezogen, denke ich, dass das für unsere Kolleginnen und Kollegen in den Praxen sogar wichtig ist, zu sehen, dass die Allgemeinmedizin dort eine Stimme hat, die sich auch zu Wort meldet.
00:08:14: Und dass eben nicht die Sichtweise der hochspezialisierten Krankenhausspezialisten, sag ich jetzt mal, einfach auf die Praxis gestülpt wird, denn die wissen, das geht nicht.
00:08:24: Und ich denke, da ist die Tatsache, dass wir es da manchmal auch in einen Konflikt gehen und den führen, etwas, was wichtig ist.
00:08:33: Was nehmen Ärztinnen und Ärzte in der Praxis dann aus solchen Diskussionen mit?
00:08:38: Ist es auch einfach manchmal an sich stärker bewusst machen, welche Entscheidungen zu treffen sind und was für den Patienten dann am besten ist?
00:08:48: Kann man das so sagen?
00:08:49: Ich denke, das kann man so sagen.
00:08:51: Ich denke, Sie nehmen auch mit, dass eben an der Versorgungsbasis, sag ich jetzt mal, geforscht wird, dass wir eigene Evidenz schaffen und damit die Versorgung in einer Weise verbessern können, die dann in Praxen auch umsetzbar und angemessen ist und dass das in der Tat eine Verbesserung der Medizin darstellt.
00:09:15: Es wird ja auch im Sinne des Primäradsystems jetzt manchmal so getan, als diene das vor allen Dingen der Kosteneinsparung nichts ist.
00:09:21: Man wird sehen, das wird sicherlich Abläufe verschlanken.
00:09:25: Aber das Wichtige daran ist, dass es Versorgung verbessert.
00:09:29: Dann vielleicht als letzte Frage.
00:09:30: Was bleibt von dem Motto Gesellschaft und Gesundheitssystem im Wandel Perspektiven für die allgemeinen Medizin für die kommenden Jahre?
00:09:39: Wir bleiben in derselben Fahrspur und im selben Thema mit dem Kongress in Göttingen Gesundheit gestalten gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen.
00:09:50: Im Thema wird ein Kongress von vier Fachgesellschaften, also auch der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, dem Netzwerk Evidenz basierte Medizin und der Gesellschaft für medizinische Soziologie gemeinsam gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen.
00:10:08: Ich denke, das Thema ist und bleibt wichtig, auch im Sinne des Positionspapiers, was Martin Gérard gestern zitierte, Armut macht krank.
00:10:18: Und Allgemeinmedizin ist immer eine Medizin im Kontext der Gesellschaft, von der kleinen Gesellschaft der Familie, wie heute Morgen gehört, bis zum großen gesellschaftlichen und socioökonomischen Rahmen.
00:10:32: Das ist nicht zu trennen.
00:10:34: Und von daher Es ist wichtig, sich auf allen Ebenen auch darum zu kümmern, also die Situation, die wirtschaftliche, die familiäre der Patienten in der individuellen Konsultation einzubeziehen, aber auch, wenn man allgemein Medizin wissenschaftlich denkt oder aus einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft herausvertritt, immer wieder darauf hinzuweisen, das ist auch ein gemeinschaftliches Problem.
00:11:01: Die WHO hat den Slogan Health in All Policies.
00:11:06: Gesundheit muss überall mitgedacht werden und Gesundheit ist weder nur eine individuelle Eigenschaft oder ein individuelles Problem, sondern es ist wirklich etwas, was systemisch mitdesignt werden muss ein Stück wert, eine gesundheitsfreundliche Gesellschaft.
00:11:22: Ja, Frau Hummers, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg als DECAM-Präsidentin.
00:11:27: Alles Gute für Sie.
00:11:29: Ich werde es brauchen.
00:11:29: Vielen Dank.
00:11:31: Und auch wieder vielen Dank fürs Zuhören.
00:11:33: Bis zum nächsten Ärztetag.
00:11:35: Tschüss.